Kia EV6. Foto: Autoren-Union Mobilität/Stefan Anker

Fahrbericht Kia EV6 GT-Line: Hochspannung aus Korea

Manch einer nennt es expressiv, den Anderen fällt das Wort krawallig ein. Wir sprechen vom Design des Kia EV6, der im Herbst bei uns auf den Markt kommen und rein elektrisch angetrieben wird. Unsere Sympathie bekommt der koreanische Stromer allemal. Da gibt es zunächst ein sehr breit gespreiztes Angebot unterschiedlicher Batteriegrößen und E-Motor-Leistungen. Die Reichweitenversprechen beeindrucken. Und der flache Viertürer folgt nicht den allgemeinen Tendenzen, nach denen die meisten Hersteller für ihre elektrisch angetriebenen Neuheiten gerne das SUV-Format wählen, weil sich darin Akkus leichter verpacken lassen und die Kunden bei ihren Neuwagenkäufen immer noch zu Opulenz statt Effizienz neigen.

Das Basismodell mit Heckantrieb und einem 58 oder 77,4 kWh starken Akku bringt es auf 170 PS (125 kW) und kostet mindestens 44.990 Euro. In der zweiten Leistungsstufe kommt der Stromer auf 229 PS (168 kW). Mit einem Prototypen der noch kräftigeren GT-Line waren wir auf den kurvigen Straßen zwischen Vogelsberg und Kellerwald unterwegs. Sie liefert 325 PS (239 kW) als Systemleistung, die von der 74 kW starken E-Maschine an der Vorderachse und dem Elektromotor mit 165 kW an der Hinterachse erzeugt wird. Damit wird der EV6 zum Allradler, was in Anbetracht der Drehmomentspitze von 605 Newtonmeter gewiss kein Nachteil für die Traktion darstellt. Die Reichweite ist üppig. Im WLTP-Zyklus verspricht Kia eine Strecke von 506 Kilometer ohne nachzuladen, damit liegt der flache Flitzer weit vorn im Umfeld der Wettbewerber.

Ein Leichtgewicht ist dieser EV6 nicht, 2090 Kilogramm bringt er auf die Waage. Man sieht es ihm jedoch nicht an. Denn der lange Radstand (2,9 Meter) macht die Überhänge kurz, den Raumgewinn innen jedoch deutlich spürbar. Das Einsteigen fällt trotz der geringen Höhe von 1,55 Meter und der kräftig konturierten Sportsitze leicht, hinter dem knappen Lederlenkrad versorgen zwei 12,3 Zoll große, hochauflösende Monitore den Fahrer mit allen nur erdenklichen Informationen, ihre Displays sind leicht gekrümmt. VW hatte diese Technik beim erneuerten Touareg einst noch als Sensation angekündigt, Kia macht das nun aus dem Handgelenk. Die Bedienung fällt leicht und erlaubt die direkte Anwahl der verschiedenen Funktionen, Lautstärke und Kartenmaßstab lassen sich so mit einem Handgriff verändern. Auch die Temperaturregelung der Klimaanlage kann ohne Zwischenschritte eingestellt werden

Die Sitzposition passt, das Zweispeichen-Volant liegt satt in der Hand – und los geht’s. Der EV6 stürmt nach vorne, wie wir es von hochmotorisierten Elektroautos mittlerweile gewohnt sind. Dennoch beeindruckt die Beschleunigung, in 5,2 Sekunden hetzt der Kia von 0 auf 100 km/h und auch jenseits dieser Marke gewinnt er weiter druckvoll an Tempo. Die Elektronik gebietet dem Vorwärtsdrang bei 185 km/h Einhalt, die Geräuschkomfort ist auch dann noch ausgesprochen hoch. Denn Akustikglas für Front- und Seitenscheiben senken den Lärmpegel entscheidend, die Abrollgeräusche der 20-Zoll-Räder dominieren über das Fahrtwindrauschen, vom Antrieb ist im Grunde kaum etwas zu hören. Kia hat einen Soundgenerator an Bord gebracht, der das subjektive Empfinden der sportlichen Note mit auf- und abschwellenden Brummtönen unterstützen soll. Verzichtbar wäre das schon.

Kurven nimmt der EV6 mit Bravour und trotz seines hohen Gewichts mit erstaunlicher Leichtigkeit. Die beiden E-Maschinen harmonieren perfekt. Grundsätzlich kommt der größere Kraftanteil vom Anschieber an der Hinterachse, der Vordere greift im Sportmodus ein und wenn Traktion in der Kurve oder glatter Fahrbahn gefordert ist. Die Fahreigenschaften ähneln denen eines heckgetriebenen Sportlers, das sanft nach außen drängende Hinterteil gerät jedoch nie in einen Grenzbereich. Den umschiffen die Fahrassistenten kaum merklich, aber umso wirksamer. Die Federung findet unterdessen den gelungenen Kompromiss zwischen straffer Fortbewegung ohne nennenswerte Karosserieneigungen, geht jedoch bei schlechter Fahrbahn gnädig mit den Passagieren um. Einzig die Lenkung dürfte gefühlvoller sein, die kräftige Servounterstützung lässt die wahre Beschaffenheit des Straßenbelags nur erahnen.

Sehr geschmeidig geht der EV6 beim Rekuperieren zur Sache. Stufenweise lässt sich die Energierückgewinnung vom ungebremsten Segeln bis zu 160 kW steigern. Das Bremspedal wird in der Höchststufe beinahe überflüssig, fein dosiert saugt er sich aus der Verzögerung Strom zurück und speist ihn in den Akku. Auch an der Ladesäule macht der Elektro-Koreaner eine gute Figur, sein 800-Volt-Bordnetz verkraftet eine Ladeleistung von 240 kW. Das genügt, um die Batterie in 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent zu bringen. 11 kW schafft das Bordladegerät, dann dauert es doch eine gute Weile länger. Das eigene Ladekabel findet im 20 Liter großen Staufach unter der vorderen Haube Platz. Doch der EV6 kann nicht nur nehmen, er kann auch geben. Bis zu 3,8 kW Wechselstrom lässt sich über eine 230-Volt-Steckdose aus seiner Batterie abzapfen, sofern deren Ladezustand über 20 Prozent liegt. Das reicht für das Auftanken von Handys und Laptops allemal, auch eine kräftige Kühlbox oder sogar ein Elektrogrill lassen sich damit betreiben.

Ablagen gibt es zur Genüge, sie sind passend für all die kleinen Mitnehmsel der Alltagswege oder auch Fahrten zu ferneren Zielen geschnitten. Das Kofferraumvolumen reicht von 520 bis 1300 Liter, das ist tauglich für die Urlaubsreise. Und auch den Bootsanhänger oder einen Wohnwagen darf der EV6 ins Schlepp nehmen, Kia gestattet ihm eine maximale Anhängelast von 1,6 Tonnen. Nicht nur jene, die dieses Zugvermögen vollständig ausnutzen, dürften mit einer Halbierung der Reichweite rechnen. Die Verarbeitung war selbst beim Prototypen durchweg einwandfrei, aber das kennt man mittlerweile ja von Kia und der Muttermarke Hyundai gleichermaßen.

Das letzte Kapitel des EV6 ist jedoch noch lange nicht geschrieben. Nach dem Marktstart der drei vorläufigen Modelle im Herbst folgt nach dem Jahreswechsel der EV6 GT (ohne „Line“), der dann der Baureihe die Krone aufsetzt. 585 PS (430 kW) wird sein Antriebsstrang leisten, für den Standardsprint braucht er dann ganze 3,5 Sekunden und 260 km/h Höchstgeschwindigkeit sollen möglich sein, heißt es. Der GT wird 65.990 Euro kosten und mit dem Porsche Taycan oder Audi e-tron GT um die Wette fahren – zum halben Preis der Wettbewerber. (ampnet/mk)

Daten Kia EV6 GT-Line
Länge x Breite x Höhe (m): 4,7 x 1,82 x 1,55
Radstand (m): 2,90

Antrieb: Elektrische Antrieb mit 2 permanent erregten Synchron-Motoren,
Allradantrieb
1-Gang-Automatik
Gesamtleistung/Leistung: 239 kW / 325 PS bei 0 U/min
Max. Drehmoment: 605 Nm bei 0 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 185 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 5,2 Sek.
Elektr. Reichweite: 506 km (WLTP)
WLTP-Durchschnittsverbrauch: 17,2 kWh
Effizienzklasse: A
CO2-Emissionen: 0 g/km (WLTP)
Leergewicht (EU)/ Zuladung: min. 2080 kg / max. 450 kg
Kofferraumvolumen: 520–1300 Liter
Max. Anhängelast: 1600 kg
Basispreis: 44.990 Euro